In Sandablagerungen des Ur-Neckar, drei km von Meckesheimer Ortsmitte entfernt, fanden Arbeiter die Überreste eines Urmenschen. Den homo heidelbergensis, genannt der Heidelbergmensch, der eigentlich der Mauermensch heißen müsste. Er ist nicht ganz so prominent wie der Neandertaler, aber für die Menschheitsgeschichte nicht weniger wichtig. Er lebte bis vor ungefähr 400.000 Jahren und war ein Urmensch. Er kannte wohl bereits ein ausgeprägtes Sozialverhalten und hat wahrscheinlich auch schon gesprochen hat. Sein Entdecker war Otto Schoetensack. Doch obwohl dem Heidelberger Gelehrten mit dem homo heidelbergensis eine der wichtigsten Entdeckungen der Menschheitsgeschichte zu verdanken ist, hat man ihn außerhalb der Fachwelt vergessen. Am 21.10.1907 wurde in einer Sandgrube bei Mauer der Heidelbergmensch entdeckt.
Am 21. Oktober 1907 herrschte in der Gastwirtschaft „Hochschwender“ in Mauer bei Heidelberg Hochbetrieb. Hier, mitten im Kneipenlärm, berichtet der Sandarbeiter Daniel Hartmann von einem sensationellen Fund
Der als „Sanddaniel“ bekannte Hartmann hat heute auf seiner Schaufel einen fossilen Überrest entdeckt. Er ist sich sicher. Er hat den Adam aus dem Paradies gefunden. Bei der Arbeit in der Sandgrube Grafenrain bei Mauer ist er auf den Kieferknochen eines Urmenschen gestoßen. Gemeinsam mit Hartmann unterschrieben die Sandgrubenarbeiter Andreas Oberländer (1877–1910) und Jakob Engelhard (1838–1927) das Fundprotokoll. Dass sie sofort wussten, was sie vor sich hatten, verdanken sie dem speziellen Training eines Gelehrten, der hier nach Spuren von Urmenschen forschte: Otto Schoetensack:
„Seit nahezu zwei Jahrzehnten kontrollierte ich die Grabungen in der Sandgrube in Grafenrain auf Spuren des Menschen. Kohlenreste oder Brandspuren an Säugetierknochen suchte ich vergeblich. So blieb denn die einzige Hoffnung, dass sich unter den Säugetierresten auch einmal ein menschlicher zeigen würde.“

Seit Jahrzehnten hat Schoetensack, Privatdozent an der Universität von Heidelberg, sein Augenmerk auf diese Sandgrube gerichtet. Schon 70 Jahre zuvor hat man hier – in einem ehemaligen Flussbett des Ur-Neckar – die ersten Tierfossilien aus grauer Vorzeit gefunden.Mit dem Eigner dieser Grube, Herrn Rösch, war er freundschaftlich verbunden. Otto Schoetensack ließ die Grube überwachen und sorgte dafür, dass die Arbeiter sorgsam mit den Funden umgingen, und diese ihm umgehend in Heidelberg meldeten. So wurde er auch am Tag nach Hartmanns Entdeckung von seinem Fund in Heidelberg unterrichtet. Schoetensack war überzeugt, es müssten auch Reste von Urmenschen zu finden sein – so, wie sie 1856 im Neandertal entdeckt wurden. Doch was jetzt hier aufgetaucht ist, stellt ihn vor ein Rätsel: ein Unterkiefer, der aussieht wie der eines Affen, aber die Zähne sind eindeutig menschlich. Er hatte etwas völlig anderes erwartet.
Das Sensationelle war nämlich, dass Schoetensack im Grunde einen Neandertaler suchte. Das war ja das Einzige, was über die Fossilgeschichte des Menschen bekannt war. Und als dieser Unterkiefer zum Vorschein kam, war sehr schnell klar, dass es sich nicht um einen Neandertaler, sondern irgendetwas anderes gehandelt haben muss.
Der Fund sieht einem Wesen ähnlich, das 13 Jahre zuvor auf Java entdeckt worden ist und zunächst für ein Mischwesen aus Mensch und Affe gehalten wird. Auf Java, so vermuten damals deutsche Evolutionsforscher, habe sich aus dort lebenden Menschenaffen – den Gibbons – der Mensch entwickelt. Schoetensack glaubt nun, ein solches Übergangswesen gefunden zu haben.
Er hat dann erst mal diese Gibbon-Theorie wieder ausgegraben und gemeint, er hätte eine Zwischenform – man sprach ja immer gerne vom missing link, ein missing link zwischen Gibbon und Mensch gefunden.
Schoetensack nennt seinen ungefähr 600 000 Jahre alten Fund homo heidelbergensis. Später wird man den Heidelbergmensch dem homo erectus – dem aufrecht gehenden Menschen – zuordnen, einem Frühmenschen und Vorfahren des homo sapiens. Der homo heidelbergensis gilt als europäische Variante des aus Afrika stammenden erectus und entwickelte sich in Europa wahrscheinlich zum Neandertaler. Der wiederum starb erst vor wenigen zehntausend Jahren in einer evolutionären Sackgasse aus. Anders als beim Neandertaler gibt es vom wesentlich älteren Heidelbergmenschen, der vor 800 000 bis 400 000 Jahren lebte, nur sehr spärliche Funde.
Man geht davon aus, dass der Heidelberg-Mensch, der das Körperfell bereits verloren hatte, den systematischen Gebrauch des Feuers kannte. Er wohnte in Hütten, bearbeitete Faustkeile, trug Tierfelle und ging möglicherweise mit Holzspeeren auf die Jagd.
Der homo erectus ist für die weitere Entwicklung des Kulturmenschen von entscheidender Bedeutung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der erectus, schon allein aufgrund der Tatsache, dass er den afrikanischen Kontinent verlassen hat, in der Lage war, systematisch weite Strecken zurückzulegen, in sozialen Verbänden gelebt hat, kommuniziert haben muss, und zwar durch eine wahrscheinlich einfache Sprache.
Im Vergleich zu seinem Nachkommen, dem Neandertaler, ist über den Homo heidelbergensis immer noch wenig bekannt. Sein Entdecker Otto Schoetensack ist außerhalb der Fachwelt vergessen. Und doch hat dieser Autodidakt, der erst mit über 50 Jahren seine Universitätskarriere begann, mit dem Fund des Kieferknochens einen der wichtigsten Beiträge zur Geschichte der Anthropologie geleistet. Er war ein Glückspilz und ein beharrlicher Forscher, der, wie das bei vielen Fossiliensuchern der Fall ist, intuitiv wusste, wo er zu suchen hat.
Dass die Sandgrube, in der der Homo Heidelbergensis gefunden wurde, gerade einmal drei Kilometer von Meckesheim entfernt liegt, lässt klar erkennen, dass unsere gesamte Heimat in der Urgeschichte vor 500.000 Jahre bewohnt war. Dass der Homo um 1900 auf Mauermer Gemarkung gefunden wurde ist in Anbetracht der immensen Zeiträume, um die es hier geht, eine historische Zufälligkeit. 1000 Jahre davor wäre er vielleicht auf Meckesheimer Germarkung und und 1200 Jahre davor vielleicht auf Reilsheimer Gemarkung gefunden worden. Aber so sind eben die Freunde und Nachbarn aus Mauer mit ihrem Jahrtausendfund die Glücklichen und sollen es auch für immer bleiben.
Allerdings gibt es auch die These, dass der Homo Heidelbergensis in Wirklichkeit ein Mönchzeller war.
Homo heidelbergensis
Homo heidelbergensis | ||||||||||||
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Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
Mittelpleistozän | ||||||||||||
Ca. 600.000 bis 200.000 Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Homo heidelbergensis | ||||||||||||
Schoetensack, 1908 |
Homo heidelbergensis („Heidelbergmensch“) ist eine ausgestorbene Hominini–Art der Gattung Homo. Dieser Art werden insbesondere Fossilien aus dem europäischen Mittelpleistozän zugeordnet, die 600.000 bis 200.000 Jahre alt sind.
Homo heidelbergensis ging aus Homo erectus hervor und entwickelte sich vor etwa 200.000 Jahren in Europa zum Neandertaler (Homo neanderthalensis) weiter. Da es keine klare Trennungslinie zwischen Homo erectus und Homo heidelbergensis bzw. Homo heidelbergensis und Neandertaler gibt, ist die Zuordnung vieler Funde zur einen oder zur anderen Chronospezies bis heute unter Paläoanthropologen – zwischen sogenannten Lumpern und Splittern – umstritten. Manche Forscher deuten einen Teil der Homo heidelbergensis zugeordneten Funde als bloße Varianten von Homo erectus.
Namensgebung
Die Bezeichnung der Gattung Homo ist abgeleitet von lateinisch hŏmō [ˈhɔmoː] „Mensch“. Das Epitheton heidelbergensis erinnert an den Fundort des Typusexemplars in einer Sandgrube der Gemeinde Mauer bei Heidelberg. Homo heidelbergensis bedeutet somit „der Heidelberger Mensch“.
Das Typusexemplar
Typusexemplar des Homo heidelbergensis ist der Unterkiefer von Mauer, dem heute ein Alter von 609.000 ± 40.000 Jahren zugeschrieben wird.[1] Dieses Fossil wurde am 21. Oktober 1907 von dem Leimener Tagelöhner Daniel Hartmann beim Sandschippen in einer Sandgrube gefunden und 1908 von Otto Schoetensackkorrekt als „präneandertaloid“ beschrieben.[2]
Bei der Wahl der Bezeichnung Homo heidelbergensis folgte Schoetensack einer Tradition, die der irische Geologe William King 1864 nach dem Fund von fossilen Homo-Knochen in einem „Neandertal“ genannten Abschnitt des Tals der Düssel begründet hatte; auch er hatte ein einziges „menschliches Gerippe“[3] als neue Art (Homo neanderthalensis) benannt.[4] Solche Verweise auf den Fundort einzelner Fossilien wählten beispielsweise in den 1920er-Jahren auch Arthur Smith Woodward (Homo rhodesiensis) und Davidson Black (Sinanthropus pekinensis), in den 1930er-Jahren Fritz Berckhemer (Homo steinheimensis) sowie nach wiederholten Knochenfunden auf Javain den 1940er-Jahren Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald (Meganthropus javanicus); das jüngste Glied dieser Traditionskette ist Homo floresiensis.
Die Bezeichnung Homo heidelbergensis blieb jedoch bis in die 1980er-Jahre hinein – wenn überhaupt – allein auf den Unterkiefer von Mauer bezogen. Dies änderte sich erst, nachdem diverse andere, vergleichbar alte Fossilien entdeckt und deren anatomische Ähnlichkeit nachgewiesen worden war.
Zur Abgrenzung von anderen Arten der Gattung Homo
1974 erkannte Chris Stringer, dass das Fossil Petralona 1 (aus Griechenland) und der so genannte Broken Hill Skull aus Sambia sich deutlich von den Neandertaler-Funden unterscheiden.[5] 1981 analysierten zwei Forscher die dem Cromer-Komplex zuzuordnenden Säugetier-Fossilien aus der Fundschicht des Fossils Petralona 1 und bemerkten, dass sie auffällige Gemeinsamkeiten mit den Säugetier-Funden aus Mauer aufweisen.[6] 1983 publizierte Chris Stringer schließlich eine Studie, in der er auf diverse gemeinsame Merkmale des Schädels Petralona 1 („Archanthropus europeaus petraloniensis“), des Unterkiefers von Mauer, des Schädels Arago XXI aus Frankreich (Homo erectus tautavelensis) und des Broken Hill Skull (Homo rhodesiensis) hinwies.[7] Zugleich äußerte Stringer die Vermutung, dass diese Funde an der gemeinsamen Basis von Neandertaler und anatomisch modernem Menschen stehen. Daher könnten sie als eigene Art betrachtet und als Homo heidelbergensis bezeichnet werden – gemäß der Konvention, dass der älteste Name der gültige ist.
In den folgenden Jahren stellten einige Forschergruppen die bislang international weitgehend einheitlichen Art-Zuordnungen von jüngeren Fossilien in die Gattung Homo infrage. Dies betraf zum einen den Neandertaler, der bis dahin Homo sapiens neanderthalensis genannt worden war und somit als Unterart von Homo sapiens neben dem anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) stand. Dem Neandertaler wurde nun der Status einer eigenen Art zuerkannt (Homo neanderthalensis), ebenso dem modernen Menschen (Homo sapiens) – eine Änderung der Namenskonventionen, die sich in den 1990er Jahren international durchsetzte. Die Unterschiede zwischen dem Neandertaler und seiner Vorläuferart (später europäischer Homo erectus bzw. Homo heidelbergensis) „deutet man am besten als zeitlichen Wandel einer Abstammungslinie. Manche bruchstückhaften Funde (zum Beispiel aus Biache Saint-Vaast, Arrondissement Arras in Frankreich) kann man sogar ohne Weiteres beiden Arten zuordnen.“[8]
Gleichzeitig wurden vor allem von US-amerikanischen Forschern Einwände gegen die Definition des Taxons Homo erectus geäußert, das seit den 1950er-Jahren Funde aus Asien, Afrika und Europa umfasste. Von diesen Forschern „wurde dieses umfassende Taxon aus chronologischen und geographischen Erwägungen aufgespalten“; Homo erectus wird von diesen Forschern seitdem „als Vertreter einer spezifisch ostasiatischenStammlinie“ ausgewiesen.[9] Die ältesten bis dahin zu Homo erectus gestellten afrikanischen Fossilien werden von diesen Forschern als Homo ergaster bezeichnet, die jüngeren als Homo heidelbergensis. Dieser Konvention zufolge entwickelte sich Homo ergaster in Afrika zu Homo heidelbergensis fort, während aus Afrika nach Asien ausgewanderte Gruppen von Homo ergaster sich in Asien zu Homo erectus entwickelten. Diese Konvention wurde beispielsweise 2008 auch von Bernard Wood[10] vorgeschlagen, der damit – wie 25 Jahre zuvor Chris Stringer – Homo heidelbergensis zugleich als den letzten gemeinsamen Vorfahren von Homo neanderthalensis und Homo sapiens interpretierte.
Diese Konvention ist bisher allerdings nicht international akzeptiert worden, so dass – je nach Vorliebe der einzelnen Autoren – bestimmte Fossilien zu völlig unterschiedlichen Arten gestellt werden. Es wurde sogar eingewandt, dass selbst diese Konvention noch viel zu unterschiedlich aussehende Fossilien zu einer Art bündele. Die britische Paläoanthropologin Leslie Aiello wurde beispielsweise in der Fachzeitschrift Sciencezitiert, beim so definierten Homo heidelbergensis handele es sich um ein „Mülleimer-Taxon“; sie schlug vor, die Art Homo heidelbergensiseuropäischen Fossilien vorzubehalten und die afrikanischen Nachkommen von Homo ergaster zu einer bislang noch nicht festgelegten Art zu erheben.[13] In der Folge wurde unter anderem vorgeschlagen, die in Afrika entdeckten unmittelbaren Vorfahren des Homo sapiens von Homo heidelbergensis abzuspalten und als Homo rhodesiensis zu bezeichnen,[14] aber auch dieser Vorschlag hat sich bisher international nicht durchgesetzt.
Vor allem europäische, aber auch einige US-amerikanische Forschergruppen stehen somit bis heute – mit geringfügigen Modifikationen – dazu, dass Homo erectus ein umfassendes Taxon ist, dem zumindest asiatische und afrikanische Fossilien zugeordnet werden können. Ihrer Deutung der bisher bekannten Fossilien zufolge ist Homo erectus in Afrika aus Homo ergaster hervorgegangen und sowohl nach Asien als auch nach Europa ausgewandert. In Europa haben sich die Nachfahren dieser Auswanderer schließlich zum Neandertaler entwickelt.
Ein Teil dieser Forscher bezeichnete zeitweise auch die Funde von so genannten Prä-Neandertalern (=„Vor-Neandertaler“; europäischen Fossilien, die älter als 200.000 Jahre sind) als lokale, europäische Unterarten von Homo erectus; Beispiele hierfür sind die Bezeichnungen Homo erectus tautavelensis und Homo erectus bilzingslebensis. Diese Zuordnung der Fossilien hatte zur Folge, dass auch der Unterkiefer von Mauer als Homo erectus heidelbergensis bezeichnet und somit von diesen Forschern auf den Artnamen Homo heidelbergensis völlig verzichtet wurde. In jüngster Zeit durchgesetzt hat sich aber auch bei diesen Forschern die Lehrmeinung, der zufolge die frühen europäischen Nachfahren der afrikanischen Auswanderer – und nur diese – als Homo heidelbergensis bezeichnet werden. Diese Position wird beispielsweise in einer Datenbank des Human Evolution Research Centers (Berkeley) ersichtlich, die neben einem sehr alten Fund aus Israel, ausschließlich europäische Funde der Art Homo heidelbergensis zuordnet. [15] Gleichwohl wird der Unterkiefer von Mauer beispielsweise in der Dauerausstellung des Phyletischen Museums in Jena weiterhin als Homo erectus bezeichnet.
Merkmale
Skelett
Die meisten Einzelfunde von Homo heidelbergensis sind Fragmente von Schädeln und Unterkiefern. Die aufschlussreichsten Funde – darunter 28 sehr vollständig erhaltene Individuen[16][17] – aus der Epoche des Homo heidelbergensis stammen aus der Sima de los Huesos, einer Höhle bei Burgos in Spanien. Ihr Alter wurde 2014 auf 430.000 Jahre vor heute datiert;[18] zuvor waren deutlich höhere Altersangaben publiziert worden.[19]Die spanischen Erforscher bezeichnen allerdings zumindest die ältesten Funde aus dieser Höhle – deren Alter auf „ungefähr 650.000 Jahren“ geschätzt wurde[20] – als eigenständige Art (Homo antecessor); diese Sonderstellung ist jedoch international nicht anerkannt.
Als besonders aussagekräftig gilt der Schädel Atapuerca-5 („Miguelón“, siehe Abb. im Kopf des Artikels), der auch von der spanischen Paläoanthropologin Ana Gracia Téllez zu Homo heidelbergensis gestellt wird.[21] An ihm erkennt man über den Augenhöhlen deutlich einen durchlaufenden Überaugenwulst, der über der Nase eine Biegung nach unten aufweist. Aufgrund des breiten Nasenrückens sind die Augenhöhlen recht weit voneinander entfernt. Nase und Unterkiefer treten – einer Schnauze gleich – im Verhältnis zu den Wangenknochen deutlich hervor. Die Stirn ist niedriger als bei den späteren Neandertalern. Charakteristisch für Homo heidelbergensis ist ferner ein großer Ober- und Unterkiefer, wobei sich – wie beim Typusexemplar aus Mauer und bei den Neandertalern – hinter dem dritten Molaren eine Lücke befunden haben dürfte, in die noch ein weiterer Zahn gepasst hätte.
Das mittlere Gehirnvolumen von zehn in Spanien entdeckten Schädeln „beträgt 1274 cm³ bei einer Schwankungsbreite von 1116 bis 1450 cm³. Damit ist es geringfügig kleiner als bei Neandertalern und Jetztmenschen.“[22] Der Knochenbau unterhalb des Halses ist hingegen bislang nur unzureichend bekannt: Zwar wurden zahlreiche Knochen-Bruchstücke geborgen, es wurden bisher aber nirgends assoziierte Überreste eines einzigen Individuums beschrieben. Schätzungen auf der Basis von 27 Langknochen aus der Sima de los Huesos ergaben für Homo heidelbergensis eine Körpergröße von ca. 164 cm,[23] wobei die Männer etwas größer als die Frauen gewesen sein dürften. Von 17 Schädelfunden aus der Sima de los Huesos wurde ferner abgeleitet, dass die Zähne, der Kauapparat und die Gesichtsknochen dieser spanischen Population – deutlich früher als andernorts bislang belegt – die charakteristischen Merkmale der späteren Neandertaler aufwiesen, während die Schädelkapsel noch „primitive“ Merkmale aufwies.[24]
Als gesichert gilt laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2010 ferner, dass Zähne und Knochen des relativ grazilen Unterkieferfragments Arago XXIII aus der Höhle von Arago eindeutige morphologische Merkmale mit dem kräftigen Unterkiefer von Mauer teilen und dass alle Funde aus dieser Höhle eine einheitliche hominine Gruppe repräsentieren.[25] Damit kann auch die Verbreitung von Homo heidelbergensis über einen großen Bereich Europas als gesichert gelten. In dieser Studie wurde jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass nicht alle Fossilien dieser Epoche ähnlich eindeutige Merkmale mit dem Holotypus aus Mauer teilen. Die Variabilität der anatomischen Merkmale könne auch bedeuten, dass zwischen 600.000 und 300.000 vor heute zwei Homo-Arten definiert werden könnten.
Analyse von mitochondrialer DNA
Aufsehen erregte Ende 2013 ein genetischer Befund aus der Sima de los Huesos.[26] Forschern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie war es gelungen, mitochondriale DNA (mtDNA) aus einem Oberschenkelknochen (Femur XIII[27]) zu gewinnen, dessen Alter anhand der molekularen Uhr auf rund 400.000 Jahre geschätzt wurde. Die DNA-Sequenzierung dieser mtDNA ergab ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten mit der mtDNA der Denisova-Menschen, deren Existenz bis dahin nur durch wenige Funde aus dem Altai-Gebirge im südlichen Sibirien bekannt war. Ebenfalls anhand der molekularen Uhr wurde geschlossen, dass die Population, zu welcher der ehemalige Besitzer des Oberschenkelknochens gehörte, 300.000 Jahre zuvor gemeinsame Vorfahren mit den Denisova-Menschen hatte. Der Leiter der mtDNA-Studie, Matthias Meyer, vermutete daher, dass die spanische Population des Homo heidelbergensis eine Vorfahren-Population besaß, „aus der später sowohl die Neandertaler als auch die Denisova-Menschen hervorgegangen sind.“[28] Chris Stringer erwähnte in diesem Zusammenhang, dass die von spanischen Forschern als Homo antecessor bezeichneten, deutlich älteren Funde als Kandidaten für eine solche Vorfahren-Population infrage kommen könnten.[29]
Kultur
Von Homo heidelbergensis sind zahlreiche Steinwerkzeuge bekannt, die u. a. zum Zerlegen von Fleisch dienten,[30] aber auch zum Bearbeiten von Tierhäuten und Holz. Schmuckobjekte sind hingegen bisher nicht entdeckt worden.
„Kratzer im Zahnschmelz der oberen und unteren Schneidezähne, die bei geschlossenem Kiefer entstanden sein könnten, lassen für den Homo heidelbergensis von Sima de los Huesos darauf schließen, dass er Material mit den Zähnen festhielt und dann mit Steinwerkzeugen durchtrennte. Die meisten derartigen Kratzer verlaufen auf der Zahnoberfläche von links oben nach rechts unten; man kann also vermuten, dass die meisten Individuen von Sima de los Huesos Rechtshänder waren.“[31][32] An Funden aus der Höhle von Arago bei Tautavel in Südfrankreich wurde die Abnutzung der Zähne mikroskopisch untersucht. Die Ergebnisse ließen auf eine raue Nahrung schließen, die zu mindestens 80 Prozent aus pflanzlichen Anteilen bestand – dies entspricht ungefähr der Nahrungszusammensetzung, wie sie auch bei heutigen Jägern und Sammlern üblich ist.[33]
Im Braunkohletagebau von Schöningen (Niedersachsen) wurden Holzspeere sowie ein beidseitig zugespitztes Wurfholz gefunden, die Homo heidelbergensis zugeordnet werden; für diese Schöninger Speere wurde ein Alter von rund 400.000 Jahren, aber auch – mit anderer Methodik – von rund 270.000 Jahren publiziert. Die Schöninger Speere sind überwiegend aus Fichtenholz gefertigt und bis zu 2,5 m lang. Aufgrund der Schwerpunktlage dürften sie als Wurfspeere benutzt worden sein. Die Speere befanden sich auf einem Jagdlagerplatz zwischen den Überresten von mindestens 15 Pferden. Daher kann angenommen werden, dass Homo heidelbergensis bereits die Großwildjagd zur Ernährung nutzte. Die sorgfältige Bearbeitung der Speere lässt auf eine gut ausgeprägte Kultur der Werkzeugherstellung schließen. Sehr ähnliche Funde wurden beim Fundplatz Bilzingsleben gemacht. Neben Holzspeeren wurde hier ein Lagerplatz mit einfachen Wohnbauten und einem zentralen, gepflasterten Platz ausgehoben. Zudem fand man ein Knochenstück mit regelmäßigen geritzten Mustern. Wenngleich nicht bekannt ist, wozu dieser Knochen diente, kann er als Indiz für die Fähigkeit zu abstraktem Denken bewertet werden.[34] Schnittspuren auf Knochen zeigen, dass er Fleisch von den Knochen abschabte. Zudem wurden Holzschäfte für Steinklingen, erste Kompositwerkzeuge, gefunden.
Auch die ältesten in Europa entdeckten, als gesichert geltenden Feuerstellen stammen von Homo heidelbergensis; sie wurden auf ein Alter von rund 400.000 Jahre geschätzt,[35][36], sind aber nach neuesten Forschungen nur etwa 270.000 Jahre alt.[37]
500.000 Jahre alte Steinartefakte aus Südafrika wurden 2012 als Speerspitzen interpretiert und gleichfalls Homo heidelbergensis zugeschrieben;[38][36] allerdings ist die Zuordnung derart alter Homo-Funde aus Afrika zu Homo heidelbergensis umstritten, da sie von anderen Forschern als Homo erectus ausgewiesen werden.
Bekannte Fundstellen und ihr Alter
Die Funde von Homo heidelbergensis stammen zumeist aus Kalksteinhöhlen und Steinbrüchen sowie vereinzelt aus ehemaligen Flussbetten. Die Fundorte liegen durchweg unter 1000 m Höhe in Spanien, Frankreich, England, Deutschland, Ungarn, Italien und Griechenland sowie in Israel und Marokko. In England starben die Populationen während der Vereisungsphasen des Mittelpleistozäns vermutlich aus.
Bereits 1907 fand man in einem Steinbruch bei Weimar-Ehringsdorf einen Unterkiefer und 1908 Fragmente eines menschlichen Schädels,[39] die heute zu Homo heidelbergensis gestellt werden können.
Die bekanntesten Fundorte, deren Fossilien als sicher datiert gelten und ebenfalls zu Homo heidelbergensis gestellt werden können, sind:[40]
- Altersbestimmung durch absolute Datierung
- Sierra de Atapuerca, Sima de los Huesos (Spanien), 600.000 – 400.000 Jahre[41] (Sima del Elefante und Gran Dolina = Homo antecessor)
- Mala-Balanica-Höhle, 500.000 – 400.000 Jahre[42]
- Vértesszőlős (Ungarn), 500.000 – 350.000 Jahre
- Bilzingsleben (Thüringen), 400.000 – 300.000 Jahre
- Ehringsdorf (Thüringen), 250.000 – 200.000 Jahre (Neandertaler)
- Tropfsteinhöhle von Petralona (Griechenland), 250.000 – 150.000 Jahre
- Bau de l’Aubesier (Nähe Avignon, Frankreich), 190.000 Jahre
- Altersbestimmung durch relative Datierung
- Ceprano (südöstlich von Rom), 880.000 (?)– 460.000 Jahre (= Homo cepranensis)
- Boxgrove Quarry (bei Boxgrove, England), 500.000 Jahre
- Höhle von Arago („Mensch von Tautavel“, Südfrankreich), 450.000 Jahre
- Steinbruch Thomas (bei Casablanca, Marokko), 400.000 Jahre
- Swanscombe-Schädel (Borough of Dartford, England), ca. 400.000 Jahre
- Montmaurin (Kanton Boulogne-sur-Gesse, Südfrankreich), 300.000 – 200.000 Jahre
- Zuttiyeh-Höhle (Israel), 250.000 Jahre
- Steinheim an der Murr (Baden-Württemberg), 250.000 Jahre (= Homo steinheimensis)
- Casal de‘ Pazzi (bei Rom), 250.000 – 200.000 Jahre
- Reilingen (Baden-Württemberg), 250.000 – 125.000 Jahre
- Grotte du Lazaret (bei Nizza, Südfrankreich), 200.000 Jahre
Bernard Wood ordnete 2008 in einer Übersichtsarbeit auch diverse Fossilien aus China Homo heidelbergensis zu, so die Funde aus Dali (300.000 – 200.000 Jahre), Jinniushan(ca. 200.000 Jahre), Xujiayao (ca. 100.000 Jahre) und Yunxian (600.000 – 300.000 Jahre).[10] Chris Stringer hingegen wies 2012 darauf hin, dass die Funde aus Dali, Jinniushan, Yunxian sowie ein Fund aus Narmada in Indien möglicherweise den Denisova-Menschen zuzurechnen seien.[43]
Von wann bis wann eine fossile Art existierte, kann jedoch in aller Regel nur näherungsweise bestimmt werden. Zum einen ist der Fossilbericht lückenhaft: Es gibt meist nur sehr wenige Belegexemplare für eine fossile Art. Zum anderen weisen die Datierungsmethoden zwar ein bestimmtes Alter aus, dies jedoch mit einer erheblichen Ungenauigkeit; diese Ungenauigkeit bildet dann die äußeren Grenzen bei den „von … bis“-Angaben für Lebenszeiten. Alle publizierten Altersangaben sind daher vorläufige Datierungen, die zudem nach dem Fund weiterer Belegexemplare möglicherweise revidiert werden müssen.