„Tiger Stone“ teilte es am Montagabend, 5.9.16, um 22 Uhr auf facebook mit:
War grad auf der Rohrbacher Kerwe. Die „Kerweschlumpel“ durfte nicht verbrannt werden. Es könnten „Neue Mitbürger“ ein traumatisches Erlebnis erleiden…
Dann ist auch diese Tradition beendet!
Das Netz tobt. Alleine dieser Blog-Artikel hat nach 24 Stunden über 7000 Aufrufe.
Die in der ganzen Kurpfalz beliebte Tradition der Verbrennung der Kerweschlumpel wurde in Rohrbach vom federführenden Stadtteilverein abgesagt. Der Grund laut in der Regel gut informierter Rohrbacher Kreise: „Neue Mitbürger“ seien in Sorge gewesen seien, dass ihre Kinder ein Trauma vom Anschauen der traditionellen Kerweverbrennung davontragen könnten. Viele Rohrbacher boykottierten daraufhin den Montagabend. Anwesende quittierten das Verbot sogar mit unüberhörbaren „Buhrufen.“
In der RNZ wurde in einer „offiziellen“ Stellungnahme auf die „Frauenfeindlichkeit“ der Verbrennung der Strohpuppe abgestellt. Diese Stellungnahme ist aber eher ein Glaubenssatz aus der postfeministischen Mimöschenschule. Geschichtlich begründet ist sie jedenfalls nicht, wie die folgenden Zeilen zeigen.
Kurpfälzer Kerwe als Karnevalersatz
Es ist anzunehmen, dass die Tradition der Strohpuppenverbrennung aus den großen katholischen Fastnachtregionen in die calvinistisch geprägte Kurpfalz „eingewandert“ ist. Möglicherweise wurde sie auch in der Karnevalsdiaspora Kurpfalz nach deren Calvinisierung aus der ehemals katholisch geprägten Karnevalszeit in die Kerwezeit herübergerettet. Dies dürfte bei einer ensprechenden Untersuchung unschwer herauszufinden sein. Die Kerwe hat in der Wahrnehmung vieler Kurpfälzer jedenfalls die Funktion eines Karnevalsersatzes. So richtig deutlich wird einem das erst, wenn man in einer Region lebt, in der die Fastnacht eine lange, ungebrochene Tradition hat. Ich lebe im katholischen Villingen, der Hauptstadt der alemannischen Fasnet. Hier spielt die Kerwe überhaupt keine Rolle. Alles dreht sich nur um die Fastnacht. In der protestantischen Kurpfalz wurde kaum Fastnacht gefeiert. Der Karneval hat erst in den letzten Jahrzehnten in der Kurpfalz einen Aufschwung erlebt. Die hohen Festtage in der Kurpfalz waren bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein überwiegend die Kerwetage.
Warum brennen Strohpuppen an Karneval oder Kerwe?
Ein Blick in die Karnevalshochburg Köln lehrt schnell, dass es dort ein männliches Feueropfer gibt, den Nubbel. Der Nubbel ist eine angekleidete mannsgroße Strohpuppe. Sie ist die Figur des Sündenbocks im rheinischen Karneval. Der Nubbel hängt in der Karnevalszeit über vielen Kneipen und wird in der letzten Karnevalsnacht verbrannt. Die Verbrennung einer Figur im Zusammenhang mit dem Karneval ist im Rheinland seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts historisch fassbar. Der Kölner Ernst Weyden schreibt in seinen Erinnerungen über die 1820er-Jahre, dass am Aschermittwoch „die Fastnacht begraben“ wurde: „Mit förmlichem Leichengeleite trug man eine Puppe auf einer Bahre durch die Stadt und verbrannte dieselbe auf einem Platze.“ Weyden bezieht das Geschehen auf einen „alten Festgebrauch, der sich noch im südlichen Deutschland und selbst in Griechenland erhalten hat“, und will eine „pomphafte Begräbnisfeier der Fastnacht“ 1812 bei den damals in Köln stationierten napoleonischen Truppen gesehen haben.
Die Kerwe soll wie Phönix aus der Asche wieder neu auferstehen
Die Parallelen zu „Kerwe begraben“ und „Kerweschlumbel verbrennen“ liegen auf der Hand. Allerdings macht sich wohl zwischen Frankreich und Griechenland nur Rohrbach Gedanken, ob das ein Angriff gegen die Gleichberechtigung der Frau ist. Der Anthropologe James Frazer sah in solchem Todes- und Verbrennungs-Brauchtum eine Verwandtschaft zu ähnlichen Bräuchen in anderen Kulturen, bei denen der Scheintod eines göttlichen oder übernatürlichen Wesens eine Rolle spielt – als Voraussetzung für eine Auferstehung in einer besseren Gestalt. Die Kerwe wird durch die Schlumpel als übernatürliches divines Wesen verkörpert, die im nächsten Jahr in noch schönerer Gestalt wiederkehren soll. Die Rohrbacher feiern also wohl nur ihre Sehnsucht nach dem ewig weiblichen, jedenfalls nach einem schönen Freudenfest, dessen Wiederkehr sie sich sehnlich wünschen. Anderswo ist es der Tod selbst, der dramatisch hingerichtet wird. Die Verbrennung einer Karnevalsfigur, die meist männlich, aber auch weiblich ist, aus Stroh oder Pappe am Veilchendienstag oder auch am Aschermittwoch berichtet Frazer aus Latium, den Abruzzen, aus Katalonien, der Provence und der Normandie, anderswo wird die Puppe begraben (im Lechrain), ertränkt (Jülich) oder aufgehängt (Raum Tübingen), in Frankreich sogar eine männliche Puppe mit Patronen erschossen.
So oder so. Ein klarer Fall von Kanonenjagd auf Spatzen. Da beschweren sich die Verantwortlichen, dass der Zuspruch zur Kerwe in den letzten Jahren nachgelassen habe und dann beschneiden sie die Rohrbacher Kerwe mit dem Traditionsbruch selber. Bei allem Respekt vor dem bisher Geleisteten und das ist wirklich aller Ehren wert; die Abschaffung dieser in der ganzen Kurpfalz verbreiteten Tradition wegen einiger überbehütender Protesteltern oder überpolitischer Genderkorrektheit war ein Fehler. Die neu Hinzugezogenen, die um die Psyche ihrer Kinder fürchten, können doch einfach der Verbrennung fernbleiben. Oder wie wäre es einfach ohne Kind zur Kerweverbrennung zu gehen und zusammen mit den Rohrbachern zu feiern? Zur angeblichen Frauenfeindlichkeit lesen Sie bitte unten mehr.
Keiner muss sich die Verbrennung ansehen. Es könnte doch alles ganz einfach sein. Dann können die Rohrbacher auf ihrer Kerwe ihre lieb gewonnenen Traditionen pflegen und die „neuen Mitbürger“ brauchen sich nicht um den von ihnen offenbar befürchteten „Dachschaden“ zu sorgen. Die Rohrbacher dürften übrigens aus eigener Erfahrung versichern können, dass man vom Anschauen der traditionellen Zeremonie keinen davon trägt. Und: Neubürgern stünde eine gewisse Rücksicht und Respekt vor den örtlichen Traditionen gut zu Gesicht. Für mich ist das eine Frage des Takts.
Ich hatte übrigens die RNZ gestern Mittag auf das Thema aufmerksam gemacht. Hier der Link zum heutigen Pressebericht mit der offiziellen Stadtvereins-Version. Dass einige wenige auf Facebook reflexartig eine Verbindung zur Flüchtlingskrise herstellten mag stimmen. Ich habe jedenfalls solche Stimmen auf Facebook nicht gelesen.
Fazit: Rohrbach bleibt mit der Abschaffung der Kerweschlumpel-Verbrennung einsam in der Kerwelandschaft. Der Stadtteilverein tritt auf die Spaßbremse und beschneidet die Tradition der Rohrbacher Kerwe. Aber: Man kann Fehler korrigieren. 2017 besteht die erste Möglichkeit die Schlumpel auch in Rohrbach wieder zu verbrennen, wie überall sonst auch.
Hier ein guter Kommentar auf RNZ-Online von „Rohrpost“:
Welch Provinzposse des 21. Jahrhunderts! Traditionell zünden wir in Rohrbach „den“ Winter, „die“ Schlumpel, und „das“ Martinsfeuer an, um das jeweilige Fest zu beenden. Politische Korrektheit ist eine Bevormundung durch Moralisten. Sie funktioniert mit unterschwelliger Drohung, nämlich Herrn Fuchs Frauenfeindlichkeit zu unterstellen (Hexenverbrennung?). Ob nächstes Jahr die CO2-Bilanz die Schlumpl-Verbrennung zulässt? Herr Fuchs, lassen sie sich nicht von diesen überempfindlichen Besserwisser_*X_*innen irritieren. Danke.
P.S.: Ich habe mit der Rohrbacher Kerwe zwar nichts zu tun, war aber selber lange Jahre Kerwepfarrer in Meckesheim-Mönchzell und dort über viele Jahre bei der Gestaltung der Kerwe mit dabei. Ich wollte es erst nicht glauben, was ich da auf facebook zufällig las. Lasst euch die Kerwe von ewig Besorgten und Besserwissern nicht vermiesen, liebe Rohrbacher. Hier dominiert wieder ein mal eine lautstarke Minderheit die Mehrheit. Eine Abstimmung in Rohrbach brächte sicherlich ein klares Votum für die Tradition. Ich wünsche Euch, dass ihr nächstes Jahr die Schlumpel wieder verbrennen könnt.
So sehe ich das auch.
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